Matchreport

Dinamo Zagreb – Hajduk Split

Wir schreiben den Juli 2015. Alles scheint seinen gewohnten Gang zu gehen im Wirrwarr des kroatischen Fußballs. Serienmeister Dinamo Zagreb hat zum wiederholten Male den nationalen Titel geholt. International wird man wohl wieder einmal nicht konkurrenzfähig sein und auch die Kritikerstimmen hinsichtlich manipulierter Spiele halten sich weiterhin. Zdravko Mamic, seines Zeichens zwielichtiger Geschäftsmann, mutmaßlicher Krimineller und seit 2003 Präsident von Dinamo und Vizepräsident des Verbandes, lässt sich davon jedoch nicht beirren und legt den aktiven Fans des Vereins weiterhin Steine in den Weg und bereichert sich an ihm. Hauptkritikpunkt sind beispielsweise enorme Einnahmen infolge von Spielerverkäufen, welche ganz einfach verschleiert wurden und nun nicht mehr nachvollziehbar sind. Ein weiterer trauriger Fakt, welcher das ganze Dilemma verdeutlicht, ist folgender: Dinamo Zagreb nutzt das Stadion, welches sich in städtischer Hand befindet, mietfrei und erhält hierbei Zuschüsse in Millionenhöhe, zum Beispiel durch öffentliche Gelder. Die Ausgaben des Vereins werden über den Steuerzahler finanziert, währenddessen die Einnahmen in die eigene Tasche fließen. Diese Machenschaften werden durch die Bad Blue Boys seit mehreren Jahren kritisiert, sowie Transparenz und demokratische Strukturen im Verein gefordert. Zdravko Mamic weist diese Fakten jedoch konsequent von sich und versucht fortlaufend, seine Gegner ruhig zu stellen und auszusperren. Somit existieren seit Jahren personalisierte Tickets mit festen Plätzen, ein umfangreiches Überwachungssystem und mittlerweile auch eine sogenannte „Schwarze Liste“ mit den Namen von weit mehr als 1.000 Personen, welche im Stadion Maksimir nicht erwünscht sind. Diese schwarze Liste ist selbstverständlich nicht richterlich beschlossen, sondern wurde ganz allein durch Dinamo Zagreb aufgestellt. Es kam auch schon vor, dass diese schwarze Listen bei Auswärtsspielen in Kroatien zu tragen kamen. In Europa sind derartige Karteien leider gängig und werden von den jeweiligen Heimvereinen übernommen, so dass den BBB der Eintritt verwehrt bleibt. In Eindhoven 2013 gab es sogar ein Stadtverbot für alle Kroaten, die sich keine gültige Eintrittskarte über Dinamo besorgt hatten, was dazu führte, dass mehrere BBB mit nicht-kroatischer Staatsangehörigkeit im Knast landeten bzw. die Anweisung erhielten, sofort die Stadt zu verlassen. Dies produzierte kuriose Szenarien, so wurde auch ein Brasilianer verhaftet, der sich eine Karte auf dem Schwarzmarkt gekauft hatte.

Mamic ließ in der Folge einen sogenannten “BBB Fan Club“, bestehend aus ehemaligen Führungsleuten der BBB, nunmehr zu dessen eigenen Gefolgsleuten geworden, installieren. Diese behaupten zwar, sich von der Gruppe abgespalten zu haben, da nur der Verein im Vordergrund stünde, allerdings halten sich hartnäckige Gerüchte, dass sich einige dieser Personen auf der Gehaltsliste von Dinamo Zagreb befänden. Kurzum: Sie genießen finanzielle Unterstützung und Schutz durch Mamic, erhalten eigene Räume im Stadion und andere Vorzüge. Dass dies bei den alteingesessenen Bad Blue Boys auf wenig Gegenliebe stoßen würde, war abzusehen, und so gibt es diese Streitigkeiten in der Szene. Diese gipfelten in Schüssen, die seitens der „Mamic Boys“ auf einen Bus der Bad Blue Boys im Oktober 2014 abgegeben wurden, oder diversen weiteren Angriffen, die Schwerverletzte zur Folge hatten. Da man durch die schwarze Liste nun bei Heimspielen nicht mehr wie gewohnt agieren konnte und nur bei Auswärtsspielen Protestaktion möglich waren, schufen sich die BBB ein anderes Betätigungsfeld. So besuchen aktuell große Teile der Bad Blue Boys den Futsal-Zweitligisten MNK Dinamo, der jetzt in die erste Liga aufgestiegen ist, wobei seit Frühjahr 2014 auch alle wichtigen Positionen im Verein durch BBB-Leute besetzt sind.

Anfang des Monats folgte dann jedoch eine überraschende Wendung. Nach der Rückkehr aus dem Dinamo-Trainingslager in Slowenien wurden Zdravko und sein Bruder Zoran Mamic von der kroatischen Polizei verhaftet. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden geht es um einen finanziellen Schaden, allein bei Dinamo Zagreb in Höhe von knapp 118 Mio. Kuna (Kurs 1:7,5). Im Zuge dieser Ermittlungen wurde allein der kroatische Staatshaushalt um 12 Mio Kuna geschädigt. Die Staatsanwaltschaft hatte schon vor den Festnahmen vom Vorwurf „Bestechung, Steuerhinterziehung und anderen Straftaten“ gesprochen, welche seit 2008 begangen worden sein sollen.

Natürlich wurde das große Derby zwischen Dinamo Zagreb und Hajduk Split dann auch noch kurz nach den Festnahmen angesetzt und ausgetragen. Die Bad Blue Boys entschlossen sich nach Bekanntwerden weiterer Details hinsichtlich der Mamic-Affäre nach mehreren Jahren wieder dazu, auf Ihre Nordtribüne zurückzukehren. Wortwörtlich hieß es in der Stellungnahme „Es ist an der Zeit, dass die langjährige Qual unterbrochen wird und der kompletten Verwaltung des Vereins die Ausgangstür von Dinamo gezeigt wird… Der Kampf um unseren Klub befindet sich jetzt an einem Wendepunkt und jetzt ist es an der Zeit zu sehen, wie viele Fans Dinamo hat.“ Aufgrund dessen war eine gewisse Euphorie im Vorfeld des Spiels nicht von der Hand zu weisen. Dies wurde allein anhand des enormen Andrangs beim Kartenvorverkauf deutlich, denn es bildeten sich lange Schlangen. Auch wurde ein Marsch der Bad Blue Boys zum Stadion angekündigt und auch die Gäste schlossen sich dem an und mobilisierten enorm. Wenige Tage vor dem Spiel veröffentlichten die Placenici (dt. „Söldner“) vom BBB Fan Club auch eine Stellungnahme, in der ebenfalls dazu aufgerufen wurde, auf die Nordtribüne zu gehen. Die Vereinsführung hat aufgrund dessen direkt die Anzahl der Eintrittskarten für den Unterrang halbiert und die mittleren Bereiche für die Mamic Boys reserviert. Für genügend Spannung war im Vorfeld also definitiv gesorgt und niemand konnte so recht sagen, wie die Bad Blue Boys auf diese ungeheuerliche Provokation reagieren würden.

Am Spieltag selbst traf man sich am frühen Nachmittag mit gut und gerne 2.500 Leuten auf dem zentralen Platz nahe der Kathedrale und lief dann untermalt von Rauchtöpfen und Fackeln mit der Fahne „Lopovi Odlazite“, was so viel heißt wie „Diebe – verpisst euch!“, vornweg zum Stadion und machte unmissverständlich deutlich, dass die Zeit reif sei für Veränderungen, Transparenz und Mitbestimmung im Verein. Auf der großen Hauptstraße und in den umliegenden Bars herrschte noch reges Treiben, während es bereits am Einlass zur Nordtribüne zu den ersten Reibereien mit den anwesenden Bullen und Sicherheitsleuten kam. Teilweise wurde versucht, das Stadion zu stürmen, aber Pfeffer und Knüppel verhinderten ein weiteres Vorankommen. Die geliebte Kurve konnte somit nur recht ungeordnet betreten werden. Unterdessen kam es im Stadioninnern zu den ersten handfesten Auseinandersetzungen mit den Mamic zugewandten BBB. Diese wurden nach kurzer Zeit durch einzelne BBB angegriffen und mit Pyrotechnik traktiert. Diese Attacke geschah jedoch nicht mit der letzten Portion Entschlossenheit, was sich mit der Einlassproblematik und dem Fakt, dass zu diesem Zeitpunkt noch wichtige Führungsleute vor den Toren standen, erklären lässt. Die Bullen intervenierten nun auch hier nach kurzer Zeit und positionierten die 40 Personen starke Gruppe am äußersten Kurvenrand. Zu Spielbeginn standen also zwei Gruppen auf der Nord, getrennt durch zwei Pufferblöcke und eine Bullenkette. Zentral vor dem größeren Teil hing die aussagekräftige Fahne „Sloboda Dinamu“ (dt. “Freiheit für Dinamo“), welche die Forderung nach massiver Veränderung noch einmal unterstrich. Das weite Rund war dann auch, wie zu erwarten, mit 25.000 Zuschauern sehr gut gefüllt. Insbesondere die Gegengerade platzte förmlich aus allen Nähten, zeigte sich vor allem in den Anfangsminuten sehr sangesfreudig und war obendrein mit drei BBB-Sektionsfahnen behangen.

Die Gästekurve bevölkerten an diesem Sonntag ca. 4.000 Hajduk-Anhänger, welche mehrheitlich mit Bussen, Autos und Vans angereist waren. Es machte sich in den frühen Morgenstunden jedoch auch ein Sonderzug auf den Weg, welcher für die Strecke acht Stunden benötigte. Beflaggt u.a. mit einer großen Torcida Split-Zaunfahne zentral vor dem Mob und angetrieben von drei Trommlern und zwei Anstimmern, überzeugten die Gäste vor allem in den ersten Spielminuten mit lautstarker und auch melodischer Unterstützung. Teilweise flachte diese mit fortlaufender Zeit ab, sodass ab und an nur noch die Hälfte des Mobs am Singen war. Gegen Ende beteiligten sich dann wieder nahezu alle Gäste. Es tat einfach gut, nach der Tristesse der letzten Derbys, zwei gut gefüllte und kraftvolle Kurven zu sehen, denn beide hatten schon in der Anfangsphase des Spiels eine unfassbare Ausstrahlung. Auch die Nordtribüne zeigte einen sehr ordentlichen und geschlossenen Auftritt und konnte sich immer wieder Gehör verschaffen. Natürlich waren auch vereinzelt Anti-Mamic-Shirts zu sehen, wobei jedoch auf derlei geartete Gesänge verzichtet wurde. Diese waren lediglich seitens der Torcida Split zu hören; auch wurden diese nicht erwidert. Gegen Ende der ersten Hälfte kam plötzlich Bewegung in die Heimkurve: Die ersten Leute vermummten sich, einige Sitzschalen flogen und die Bullenkette musste immer weiter zurückweichen. Kurzzeitig dachte man, die Mamic-Söldner bekämen nun die Quittung für ihr Handeln und ihre bloße Existenz; jedoch stoppte die große Masse kurz vorher und halbierte somit nur den Pufferbereich. Die Bad Blue Boys legten dann in der zweiten Hälfte einen richtig guten Auftritt hin. Erst entledigte sich ein Großteil seiner T-Shirts, im weiteren Verlauf sang man sich teilweise in einen Rausch. Sehr lautstark, ausdauernd und immer wieder angefacht durch Wroclawer Feuer und Bengalen überzeugte man absolut. So kannte man die Kurve aus den allseits bekannten Videos, welche man sich früher in Endlosschleife mit großen Augen anschaute. Natürlich nutzte man die Pyrotechnik auch dazu, um dem BBB Fan Club am Rande der Kurve noch einmal deutlich zu machen, was man von dessen Existenz hält. Mehrmals flogen ihnen diese Bengalen um die Ohren, welche aber auch prompt wieder zurückbefördert wurden. Unter heftigstem Gepöbel und Gestikulieren beruhigte sich die Lage nur schwerlich. Absolut unverständlich und absolut nicht zu erklären, wie die Söldnertruppe von Mamic in dieser Kurve überhaupt überleben kann. Immerhin wurden dauerhaft Porträtfotos von ihnen geschossen und der Spieltag endet ja bekanntlich nicht am Stadiontor. Ursprünglich wollten die BBB das Stadion zur 75. Minute verlassen. Einerseits um dem vorprogrammierten Bullenstress aus dem Weg zu gehen und andererseits vor allem, um zu zeigen, dass eben doch noch nicht alles ist wie früher. Mamic ist trotz U-Haft immer noch da, geändert hat sich an den aktuellen Machtverhältnissen nichts und Transparenz und Kritikfähigkeit sind immer noch Fremdwörter für die Vereinsführung. Es ist eben noch nicht wieder der Verein, den die Bad Blue Boys lieben und vor allem lieben gelernt haben. Mit Sicherheit mag auch der spannende Spielverlauf eine tragende Rolle gespielt haben. Immerhin konnte Dinamo einen frühen Rückstand noch vor der Halbzeit ausgleichen und hatte gegen Ende auch noch Chancen, die drei Punkte in Zagreb zu behalten.

Das Spiel endete jedoch leistungsgerecht mit 1:1. Drei Tage nach dem Spiel wurde Zdravko Mamic übrigens nach Zahlung einer Kaution in Höhe von 7 Mio. Kuna (!) wieder aus der U-Haft entlassen und ließ es sich nicht nehmen, noch am gleichen Abend das Champions League-Qualifikationsspiel gegen Fola Esch zu besuchen. Natürlich war die „Schwarze Liste“ plötzlich wieder existent und einigen Führungsleuten der Bad Blue Boys wurde der Zutritt erneut verwehrt. Daraufhin entschloss sich die Gruppe wieder, dem Stadion fernzubleiben und gegen die Zustände um Zdravko Mamic zu protestieren. Vor dem Rückspiel in Luxemburg kam es dann erneut zu harten Auseinandersetzungen zwischen BBB und den Söldnern. Ergebnis sind ein zerstörter Kleinbus und mehrere Festnahmen. Also doch alles wie immer im Wirrwarr des kroatischen Fußballs?