Matchreport

Tirana Derby

Leider kommt es ab und an vor, dass verfasste Texte nicht im Heft abgedruckt werden können. Mal muss der Rotstift angesetzt werden, weil der Platz nicht ausreicht, mal flattert die Post erst nach Redaktionsschluss ein und für ein Abdruck in der darauffolgenden Ausgabe wäre der Text dann nicht aktuell genug. Beim folgenden Bericht vom Tirana Derby gab mangelnder Platz den Ausschlag, und damit er nicht auf unseren Rechnern versauert, veröffentlichen wir ihn hier.

Partizani – KF Tirana 2:0 (04.03.2016, Zuschauer: 8.531)

Anfang März war es mal wieder soweit: Nach den ereignis- und stimmungsreichen Spielen im vergangenen Kalenderjahr kam es in der Albanischen Haupstadt zum dritten von insgesamt vier Derbies in dieser Saison. Beliebtester Verein gegen den Ältesten Verein des Landes, Fans aus der Peripherie Tiranas und dem Rest Albaniens gegen die Jungs aus der Stadt, Club des Militärs gegen Arbeiterverein oder einfach nur Partizani Tirana gegen den KF Tirona. Bislang verläuft die Saison für Partizani überaus gut. Hinter Serienmeister Skënderbeu Korce rangiert man derzeit mit sechs Punkten Rückstand auf Rang Zwei. Dies wäre übrigens gleichbedeutend mit der Teilnahme an der Europa-League Qualifikation. KF hingegen, dümpelt im Niemandsland der Tabelle umher und spielt im Prinzip an jedem Wochenende um die Goldene Ananas. Nichtsdestotrotz stellen die Derbies für die Anhänger der Blau-Weißen auch weiterhin die Highlights der Saison dar und dies sollten Sie auch dieses mal unter Beweis stellen. Generell herrscht im Land aktuell eine unglaubliche Euphorie. Der Fussball spielt seit der erstmaligen Qualifikation der Nationalmannschaft für die EM-Endrunde in der Schweiz im Sommer eine immer größere Rolle. Schon jetzt laufen im Fernsehen diverse Songs nationaler Popkünstler dem Anlass entsprechend rauf und runter und die Fussballfankultur wächst und gedeiht stetig. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass in den Videos ausgiebig mit Bengalen, Rauchdosen und Schwenkfahnen hantiert wird. Auch an diesem Freitagabend wurde die Euphorie der begeisterten Bevölkerung mehr als deutlich. Die Heimstätte von Partizani Tirana, das Stadiumi Kombëtar Qemal Stafa, sollte sich mit phänomenalen 8531 Zuschauern füllen und beide Fanszenen waren wie gewohnt äußerst motiviert. Am Nachmittag trafen sich sowohl Ultras Guerrils, als auch Tirona Fanatics, in der Innenstadt. Die Anhänger von Partizani liefen mit 1000 Leuten, begleitet von sehr wenigen Uniformierten, relativ gesittet und unscheinbar zur Spielstätte. Die heutigen Gäste trafen sich an anderer Stelle im Zentrum, stellten aber zahlenmäßig einen ähnlich großen Mob. Im Gegensatz zu Partizani, untermalten die Blau-Weißen den Weg zum Stadion mit Bengalen und Rauch. Auch hier kann von inexistenter Polizeipräsenz gesprochen werden. Mal abgesehen von den Verkehrspolizisten am Wegesrand. Scheinbar stellt dies jedoch keine Seltenheit dar, nahmen es doch beide Seiten gelassen hin und zeigten keinerlei Anstalten, in irgendeiner Art und Weise mit dem Feind aneinander zu geraten. Die Staatsgewalt an den Blockzugängen wirkte dann auch dementsprechend entspannt und agierte nur beim Thema „Feuerzeuge“ rigoros. Trotz des sehr sportlichen Preises von 2000Lek (15€) war die Haupttribüne dann übervoll. Angenehm in jedem Falle, dass auf feste Platzzuteilung geschissen wurde und jeder einfach dort saß, wo er wollte. Im Stadion stellten die Rot-Weißen dann die knappe Mehrheit. Im Gästeblock fanden sich letztendlich knapp 3300 Fans von KF Tirona ein. Dieser bestand, wie schon bei den letzten Derbies aus zwei getrennten Sektoren. In der Kurve machte sich die führende Gruppe der Tirona Fanatics breit, währenddessen sich am linken äußeren Rand der Gegengerade die Gruppierungen West Boys 86 und Ultras Tirona im kleineren Teil des Blocks einfanden. Letztere machten lediglich zum Einlauf der Teams durch Blaue und Weiße Luftballons sowie einer Fackel auf sich aufmerksam und zogen ansonsten bis auf wenige Ausnahmen Ihr eigenes Ding durch. Auch wenn betont werden muss, dass es sich hierbei nicht um Ultra´-Gruppen im klassischen Sinne handelt, war es dennoch ein sehr eigenartiger Auftritt. Mehr Erwähung sollen diese im Bericht nicht finden. Die Tirona Fanatics zeigten an diesem Freitagabend eine sehr gelungene Aktion zum Intro. So präsentierte man in der Kurve verteilt fünf kleinere, in etwa 1,50x4m große, simple Blockfahnen mit folgenden schlichten, aber aussagekräftigen Losungen: „Du bist mein Traum“, „Du bist mein Wunsch“, „Du bist meine Fantasie“, „Du bist meine Hoffnung“ und „Du bist meine Liebe“. Als Hauptspruch prangte im typischen Ultra´-Schriftstil am Zaun „Du bist alles, was ich brauche“. Ausgefüllt wurde der Block mit 40 verschiedenen blau-weißen mittelgroßen Schwenkfahnen und garniert wurde die gesamte Aktion mit einer handvoll Rauchdosen in den Vereinsfarben, einem Dutzend Fackeln, einigen Blinkern und vielen Böllern. Nicht wenig davon, wurde im Innenraum entsorgt. Insgesamt eine klassische, aber durchaus einprägsame und starke Aktion. Der Standort der Ultras Guerrils 08-09, Ihres Zeichens führende Ultra´-Gruppe des Gastgebers, befand sich standesgemäß auf der Gegengeraden und wurde diesmal von 4000 Rot-Weißen bevölkert. Getrennt waren die Sektoren im Übrigen durch zwei Zäune und vier Bullenketten. Die heutige Choreografie bezog sich einerseits auf das 70-jährige Vereins-jubiläum und war andererseits eine Antwort auf eine Aktion der Tirona Fanatics beim vorangegangenen Derby. Mittig wurde eine gemalte Blockfahne herunter gelassen. Abgebildet war ein Partizani Spieler mit der Rückennummer 70. Dieser überschattet einen dümmlich wirkenden KF Tirona Fan, welcher in einer automatisch betriebenen kleinen Flugzeugminiatur sitzt. Bezug nahmen die Ultras Guerrils 08-09 hierbei auf das letzte Derby. Seitens Blau-Weiß wurde wohl mit einem Helikopter inklusive „Tirona“ Schriftzug während des Aufeinandertreffens hantiert, was im Nachhinein selbst ziemlich abgefeiert und hochgelobt worden ist. Flankiert wurde die Blockfahne von jeweils 50 roten Schwenkfahnen mit gelbem Mittelstrich und voran hing die klare Aussage „70 Jahre, Stolz, Ruhm und Leidenschaft kann man nicht durch Fliegen auf Illusionen erreichen“. Kritisiert wird damit eine gewisse Arroganz seitens der Tirona Fanatics. Abgesehen davon, dass schon bei unzähligen Fussballspielen weltweit Flugzeuge oder Helikopter im Rahmen von Fussballspielen für gegenseitige Provokationen gechartert worden sind, hat die Aktion nichts mit der Materie Ultras oder kreativem Ausleben seiner Wünsche und Ideen zu tun. Laut Guerrils gab es in den vergangenen zwei Jahren kaum Corteos oder andere Aktionen vom Stadtrivalen. Man war selten präsent, fiel durch schlechte und lächerliche Choreografien auf und zieht permanent auf allen Ebenen den Kürzeren. Sei es im Stadion oder auf der Straße, wo so manche Auseinandersetzung zu Ungunsten der Blau-Weißen ausgegangen ist. Trotzdem halten Sie weiterhin die Illusion aufrecht, die Besten in der Stadt und im ganzen Land zu sein und verhalten sich dementsprechend. Abgerundet wurde die starke Aktion mit 40 Fackeln, welche nach Herunterlassen der Blockfahne angerissen worden sind. Auffällig, dass auch auf der Gegengeraden scheinbar eine Teilung der Fanszene existent ist. Am rechten Rand konnte anhand der Zaunfahne „Ultras Garda“ eine weitere, in etwa 50 Personen starke Gruppierung ausgemacht werden. Ähnlich, wie im abgetrennten Teil des Gästeblocks, fielen diese auch nur durch den Gebrauch von Pyrotechnik auf und agierten ansonsten separiert vom Rest. Dieser legte hingegen zu Beginn eine flotte Sohle aufs Parkett. Laute Gesänge, Hüpfaktionen und eine dezent chaotische Organisation prägten die Szenerie. Der Trommler hatte oftmals arge Probleme und traf den Takt nicht immer. Leider entstanden dadurch einige kanonartige Situationen. Förderlich waren dagegen die zwei schnellen Tore von Partizani in der 6. und 12. Spielminute. Kollektives Ausrasten. Die Torjubel waren wirklich stark, ohne Frage. Nach dem Führungstreffer wurden obendrein erneut 15 Fackeln entzündet und die Lautstärke blieb auf hohem Niveau. Erschreckenderweise wurde es trotzdessen, so ehrlich muss man sein, spätestens nach einer halben Stunde sehr ermüdend und eintönig. Das Liedgut beschränkte sich auf ein halbes Dutzend bekannter Hits, sodass die Abwechslung doch arg auf der Strecke blieb und der Gesamteindruck leider erheblich geschmälert wurde. Schlecht war es aber keinesfalls. Obwohl der Spielverlauf für die Gäste nicht hätte beschissener sein können, schmetterten die Anhänger des KF Tirona ihre Schlachtrufe trotzdem geschlossen und sehr laut ins weite Rund. Koordiniert wurde der Support von einem Anstimmer und insgesamt sechs Trommlern. Abwechslungsreich und konstant verschaffte man sich immer wieder Gehör und konnte auch ab und an mit Sticheleien in Richtung Gegengerade einige Pöbel-Einlagen provozieren. Erwähnenswert sicherlich noch die Schalparaden, das wilde Hüpfen und ein Dauergesang gegen Partizani, wobei man sich zeitweise in einen kleinen Rausch sang. Über die komplette Spielzeit detonierten permanent Böller und zu Beginn der zweiten Halbzeit wurde erneut dezent und durchaus passend Pyrotechnik eingesetzt, sodass in der Kurve ein Dutzend Bengalen aufleuchteten. Im Heimbereich misslang derweil eine Kassenrollen- aktion gehörig. Absolut chaotisch und zeitversetzt ergab das Ganze leider kein gutes Bild. Das passte insgesamt zum Auftritt der Guerrils. Das Derby verlor in den zweiten 45 Minuten doch etwas an Reiz. Höhepunkte konnten lediglich vom gemäßigteren Publikum auf der überfüllten Haupttribüne gesetzt werden. Neben einigen Pöbeleien mit einer kleineren Gruppe KF Tirona Fans flammten hier auch ab und an vereinzelte Fackeln auf und die Normalos stimmten das ein oder andere Lied an. Partizani konnte das Spiel letztendlich ungefährdet mit 2-0 für sich entscheiden und seine Verfolgerposition hinter Korce festigen. Diesmal blieben größere Jubelorgien trotzdessen aus. Nur die Kids von der Haupttribüne turnten auf dem Feld herum und genossen das gute Gefühl inmitten Ihrer Idole. Die sichtlich enttäuschten Gästespieler verließen sogar umgehend den Ort des Geschehens und verabschiedeten sich in die Katakomben. Nach dem guten Auf-tritt Ihrer Anhänger war das kein guter Zug und absolut unangebracht. Wenigstens ein kurzer Dank in Richtung Kurve hätte drin sein müssen. Geschlossen, stolz, verrückt und lautstark besang man hier permanent seine Farben und unterstrich eindrucksvoll, dass immer mit den Fans des KF Tirona zu rechnen ist. Egal, wie es auf dem Feld aussieht und wie aussichtslos die Lage ist. Insgesamt hatten die Blau-Weißen an dem Abend klar die Nase vorn. Die Gegengerade um die Guerrils wirkte einfach zu chaotisch, unorganisiert und unerfahren. Größtes Manko ist sicherlich das bislang noch recht übersichtliche Liedgut und die Größe der Gegengerade, aber das sind Herausforderungen, welche angegangen und gelöst werden können. Man darf gespannt sein, wie sich die Szene in den nächsten Jahren entwickelt und wer den Kampf um die Vormachtstellung in Tirana entscheiden wird. Wir sind zuversichtlich und freuen uns schon auf die nächsten Derbies. – Frank Tibo